Ich habe mir überlegt, dass ich eine kleine Serie über Persönlichkeiten, die mit Göttingen in Verbindung stehen, starten will. Dabei ist mir zum Glück in letzter Minute noch ein halbwegs schnittiger (das heißt durch die Alliteration nicht ganz so schnöder) Titel eingefallen. Deshalb heißt diese Serie jetzt also nicht »Gedenktafel der Woche«, sondern »Göttinger Gedenken«. Das ist allgemeiner und legt mich nicht auf eine Episoden-Frequenz fest. Und ehrlich, der Titel »Er hat zwar nur zwei Monate in Göttingen gewohnt, aber ich schreibe trotzdem mal was über ihn« wäre wohl doch etwas zu sperrig gewesen.
Nun aber in medias res mit der
Folge 1: Göttinger Sieben
Am 18. November 1837, also heute vor 175 Jahren, haben sieben Professoren der Georgia Augusta offiziell ein Protestschreiben an den damaligen König von Hannover, Ernst August I., gerichtet. Doch worum ging es dabei?
Verfassungsfragen
Die Universität war im 100. Jahr nach ihrer Gründung, als 1837 die bis dahin bestehende Personalunion des Königs von Großbritannien (mit Irland) und Hannover endete und ein eigenständiges Königreich Hannover entstand. Erster König wurde der erwähnte Ernst August, der gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine folgenschwere Entscheidung machte: Er schaffte nämlich die seit 1833 gültige Verfassung (»Staatsgrundgesetz«) ab.
Dieses »Grundgesetz« Hannovers war schon vergleichsweise liberal ausgestaltet. So hatten etwa einfache Bürger und Bauern ein Mitspracherecht in der Ständekammer (das zwar gering war, aber immerhin!) und konnten ihren politischen Willen dort artikulieren. Außerdem durfte die Regierung die Mitglieder der Magistrats von Hannover nicht mehr selbst bestimmen, sondern lediglich abnicken. Es wurde klargestellt, dass »[d]er König als Oberhaupt des Staates […] in sich die gesamte Staatsgewalt [vereinigt], und […] sie auf verfassungsmäßige Weise aus[übt].« (§ 61) Willkür und Gutdünken des Königs sollten damit eingeschränkt werden und seine Entscheidungen in den Verfassungsrahmen eingebettet sein. In einem ebensolchen Willkürakt hatte Ernst August nun also am 1. November 1837 die erst vier Jahre alte Verfassung abgeschafft.
Protest der Göttinger Sieben

Wilhelm Grimm, Jacob Grimm,
Albrecht, Dahlmann, Gervinus,
Weber, Ewald
(public domain 2)
Die sieben Göttinger Professoren
- Wilhelm Eduard Albrecht (Staatsrechtler),
- Friedrich Christoph Dahlmann (Historiker),
- Heinrich Ewald (Orientalist),
- Georg Gottfried Gervinus (Literaturhistoriker),
- Jacob Grimm (Jurist und Germanist),
- Wilhelm Grimm (Jurist und Germanist) und
- Wilhelm Eduard Weber (Physiker)
reichten daraufhin am 18. November eine »Unterthänigste Vorstellung einiger Mitglieder der Landes-Universität das Königliche Patent vom 1. November betreffend« beim Hohen Königlichen Universitäts-Curatorium ein. Darin beriefen sie sich auf ihren Amtseid, den sie auf die Verfassung von 1833 abgelegt hatten und kritisierten heftig, »dass [das Staatsgrundgesetz] ohne weitere Untersuchung und Vertheidigung von Seiten der Berechtigten, allein auf dem Wege der Macht zu Grunde gehe«.3
Das Protestschreiben der Sieben wurde von Studenten in großer Anzahl abgeschrieben und im ganzen Land verteilt. Außerdem organisierten sie Demonstrationen mit Hilfe von Flugblättern4. Ernst August befürchtete daher großen öffentlichen Druck und eine Ausweitung des Protests, weshalb er sich gezwungen sah, zu harten Maßnahmen zu greifen. Am 4. Dezember 1837 kam es zu einer Anhörung der Sieben vor dem Universitätsgericht, das sie als »in hohem Crade strafbar« 5 verurteilte.
Eine Woche später entließ Ernst August die Professoren aus ihrem Dienstverhältnis und verwies drei von ihnen, Dahlmann, Gervinus und Jacob Grimm, sogar des Landes, weil diese drei als Meinungsführer galten – Dahlmann hatte sich bereits bei der Entstehung der Verfassung von 1833 prominent eingebracht. Am 17. Dezember gingen diese drei – begleitet von offiziell verbotenen Studentenmärschen – nach Kassel. Hier waren sie jedoch nicht willkommen, weil der dortige Herrscher, Kurprinz Friedrich Wilhelm, es sich nicht mit seinem Nachbarn verscherzen wollte. Dahlmann ging daraufhin nach Leipzig, Gervinus nach Darmstadt. Einzig Grimm blieb in Kassel, wohin später auch sein Bruder Wilhelm kam.
In ganz Deutschland bekundeten Menschen ihre Sympathie für die Göttinger Sieben und vielerorts wurden »Göttinger Vereine« mit dem Zweck gegründet, Spendengelder zu sammeln und den Entlassenen so ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
Aber auch für die Universität und die Stadt Göttingen ergaben sich schwerwiegende Folgen: Die frei gewordenen Lehrstühle blieben lange vakant, weil niemand eine auf diese Weise frei gewordene Stelle beerben wollte. Außerdem verringerte sich die Zahl der Studenten an der Universität um etwa 50 Prozent – ein herber Verlust an Kaufkraft in Göttingen.
Gedenken
In der Stadt Göttingen führt heute kein Weg an den Göttinger Sieben vorbei. An vielen Stellen finden sich Ehrungen der verschiendensten Sorte. Hier möchte ich einen kleinen Überblick geben:

Nach den Göttinger Sieben benannte Straßen (Karte: OpenStreetMap; CC-BY-SA 2.0)
Gesamte Gruppe
- Das Gebiet des Zentralcampus der Universität Göttingen trägt den Namen Platz der Göttinger Sieben
- Auf diesem Platz befindet sich seit 2011 eine von Günter Grass geschaffene Skulptur zu Ehren der Göttinger Sieben
- Eine Gedenktafel befindet sich außerdem in der Universitäts-Aula am Wilhelmsplatz
- Auch in Hannover gibt es einen Platz der Göttinger Sieben, direkt neben dem Landtag gelegen
- Dort befindet sich auch das Landesdenkmal »Die Göttinger Sieben«
- … von dem ein Modell im Foyer der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB) zu finden ist
- Am 2. November 2012 hat die Deutsche Post darüber hinaus eine Sonderbriefmarke herausgegeben, zu der es auch einen Sonderbeleg mit Sonderstempel gibt
Wilhelm Eduard Albrecht
- Albrechtstraße
Friedrich Christoph Dahlmann
- Dahlmannstraße
- Gedenktafel gegenüber des Auditoriums (Weender Landstraße 1)
Heinrich Ewald
- Ewaldstraße
Georg Gottfried Gervinus
- Gervinusstraße
- Gedenktafel (Mühlenstraße 3)
Brüder Grimm
- Brüder-Grimm-Allee
- Brüder-Grimm-Schule (Robert-Koch-Straße 11)
- Brüder-Grimm-Stein (Brüder-Grimm-Allee/Hainbundstraße)
- Gedenktafel (Goetheallee 6)
Wilhelm Eduard Weber
- Wilhelm-Weber-Straße
- Gauß-Weber-Denkmal (Wall/Bürgerstraße)
- 18. November 2012, 23:45:09 [Aktuelle Revision] von kweku
- 18. November 2012, 23:01:27 von kweku
- 18. November 2012, 22:50:00 von kweku
- 18. November 2012, 22:46:36 von kweku
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